ChatGPT und die Zukunft der Verlagsbranche
Audience Development Deep Dive Folge 8
Christian Kallenberg, Inhaber von We Like Mags, and Benjamin Kolb, Geschäftsführer von Purple, im Gespräch mit Prof. Dr. Thomas Hess, Direktor des Instituts für Digitales Management und Neue Medien an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Seit 2001 geht Prof. Dr. Thomas Hess seinem Beruf als Universitätsprofessor für Wirtschaftsinformatik und Betriebswirtschaftslehre und als Direktor des Instituts für Digitales Management und Neue Medien an der Ludwig-Maximilians-Universität nach. Einige Jahre später wurde er in die Bayrische Akademie der Wissenschaft aufgenommen. Mittlerweile ist Prof. Dr. Hess ebenfalls Mitherausgeber u.a. der Zeitschriften Journal of Management Information Systems, Electronic Markets sowie International Journal on Media Management und MedienWirtschaft. Außerdem ist er Mitglied des Direktoriums des Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation, Gründer und Mitglied des Boards des Internet Business Clusters e.V. und Mitglied im Vorstand des Münchner Kreis.
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Das erwartet Sie in dieser Folge
00:42 Die Rolle von ChatGPT in der Verlagsbranche
02:55 Personalisierung mithilfe von künstlicher Intelligenz
06:54 automatisierte Personalisierung
08:17 Schwierigkeiten der Personalisierung
14:18 Beispiele für Personalisierung und Inhaltegenerierung
17:18 Paywalls als Einnahmequelle
20:31 Womit verdient die Branche zukünftig Geld?
22:23 Werdegang und aktuelle Aufgaben von Prof. Dr. Hess
00:00:04
Christian Kallenberg: Willkommen zum zweiten Audience Development Deep Dive 2023 von Sprylab Technologies und We Like Mags. Unser Gast ist heute Professor Dr. Thomas Hess von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er ist dort Direktor des Instituts für digitales Management und neue Medien. Wir sprechen natürlich über ChatGPT, die Automatisierung und Personalisierung der Verlagsbranche und wir klären die Frage, wie die Branche eigentlich zukünftig Geld verdient. Wir, das bin ich, Christian Kallenberg und natürlich mein Co-Host, Benjamin Kolb. Hallo Benny.
00:00:35
Benjamin Kolb: Guten Morgen Christian.
00:00:37
Christian Kallenberg: Und jetzt geht’s auch schon los. Hallo, Herr Prof. Dr. Hess.
00:00:41
Prof. Dr. Thomas Hess: Hallo.
00:00:42
Christian Kallenberg: Es ist im Moment in aller Munde, ChatGPT. Was denken Sie über diese neue Technik? Wie sehr wird das die Verlagsbranche verändern?
00:00:49
Prof. Dr. Thomas Hess: Ich denke ChatGPT in der Version wie sie jetzt der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird, ist vor allem erstmal ein Marketing-Tool. Ein Tool, das einfach in der Breite der Bevölkerung und interessierter Professional Anwender zeigen kann, wie man heute mithilfe von trainierten KI-Anwendungen Texte oder auch Coding vereinfachen kann. Das ist, glaube ich, etwas, was man erstmal festhalten muss. Es ist technisch nicht neu. Aktuell ist die Version 3.5. Die 3er-Version gab es schon. Interessant könnte die nächste Version werden. Das ist generell meine Einschätzung. Bezogen auf die Verlage glaube ich, dass ChatGPT in der freiverfügbaren Version nochmal darauf hinweist, dass es schon schrittweise in die Richtung geht, dass Inhalte, insbesondere Texte durch die Unterstützung von Maschinen erstellt werden können. Im konkreten Fall glaube ich allerdings nicht bei ChatGPT, dass das bei Verlagen große Anwendung finden wird, weil gerade die Urheberrechtsfrage nicht wirklich geklärt ist. Ich vermute auch, dass die Anbieter das bewusst offen gelassen haben, um der breiten Bevölkerung und nicht Professionals das zu zeigen. Für Medienunternehmen könnte die nächste Version, die auch ansteht, ChatGPT 4 das Interessante sein.
00:02:03
Christian Kallenberg: Haben Sie das eigentlich selbst schon mal ausprobiert?
00:02:05
Prof. Dr. Thomas Hess: Ja, habe ich schon, aus Interesse für die Medienbranche, aber auch als Hochschullehrer. Man sieht schon, dass da interessante Texte kommen und an der Hochschule stellt sich zukünftig die Frage „was ist mit Formaten wie Seminararbeiten? Müssen wir da etwas umstellen?“. Aus beiden Interessen heraus habe ich es mir mal angeschaut.
00:02:23
Christian Kallenberg: Und, müssen Sie was umstellen?
00:02:25
Prof. Dr. Thomas Hess: Es wird, wenn das einigermaßen funktioniert, schon so sein, dass wir mittelfristig drüber nachdenken müssen, wegzukommen von Arbeiten, die einfach etwas zusammenfassen, was man am Anfang des Bachelors schon noch macht hin zu Arbeiten, die weitergehen, nicht nur zusammenfassen und in der Aufbereitung. Wir gehen letztlich von Texten, die Studierende zusammenfassen, hin zu einem Dialog. Das kann man mit der Maschine nicht machen.
00:02:50
Christian Kallenberg: Gibt es noch andere Arten von automatischer Textgenerierung an denen Sie bei sich am Institut arbeiten?
00:02:55
Prof. Dr. Thomas Hess: Wir haben letztes Jahr, 2022, eine größere Veranstaltung gehabt mit einer Reihe von Medienunternehmen, Technologieanbietern, wo wir uns generell mal dem Thema KI der Medienbranche gewidmet haben. Da gibt es mehrere Felder. Eins ist die Personalisierung von Inhalten, aber eins ist auch, da geht es letztlich hierum, um das Erstellen von Inhalten. Auch dort hat man gesehen, dass die Technologienutzung schon aus einem infantilen Modus rausgekommen ist. Lange Zeit war so das typische Beispiel niederklassige Sportereignisse und die künstliche Intelligenz schreibt einen netten Text über die Kreisklasse-Begegnung. Das geht heute auch, ist aber schon weitergegangen. Heute kann man den Inhaltschaffenden schon umfassend unterstützen. Es ist wie in vielen anderen Bereichen der künstlichen Intelligenz absehbar, dass manche Aufgaben angereichert werden, aber sie werden sicherlich nicht von der Maschine ersetzt werden. Was die Maschine z. B. überhaupt nicht kann, sind letztlich Meinungen zu generieren.
00:03:57
Benjamin Kolb: Sie hatten es gerade schon angesprochen, dass Sie da auf mehreren Feldern unterwegs sind, z. B. auch dem Feld der Personalisierung. Wir haben uns letztens die Studie zu den Verlagstrends mit KPMG und MVFP durchgelesen, das hatte ja das Fokusthema Personalisierung. Dort drin stand, dass nur 16 Prozent der befragten Verlage heute Personalisierung einsetzen. Inwieweit hat Sie denn dieses Ergebnis überrascht?
00:04:19
Prof. Dr. Thomas Hess: Ja, das hat mich schon überrascht. Ich hätte eine geringere Zahl erwartet, also einen geringeren Prozentsatz. Wir haben ja in der Studie, die ich mitbegleitet habe, relativ breit nach Personalisierung gefragt. Also nicht nur die Inhalte, die man so als Medienmensch im Fokus hat, sondern auch Personalisierung der Kundenansprache und ganz breit interpretiert, was wir auch bewusst dort gemacht haben, dann halte ich auch diese 60 Prozent für nachvollziehbar. Es ist nicht der Inhaltebereich, sondern das haben Sie ja auch gesehen, die Bereiche, die vorne liegen, es ist die Kundenansprache, also Interaktion zu Abrechnungsfragen usw. und nicht das eigentliche Bereitstellen der Inhalte.
00:05:00
Benjamin Kolb: Genau, das war ja das häufigste Beispiel. Die Personalisierung im Newsletterversand, da sehen wir ja deutlich noch Luft nach oben. Wo sehen Sie denn die größten Potenziale im Bereich der Personalisierung für Verlage?
00:05:10
Prof. Dr. Thomas Hess: Ich glaube schon, dass es wahrscheinlich richtig war, kaufmännisch gedacht, die Bereiche wie Kundeninteraktion, die Quick Wins, anzugehen. Wo es komplizierter wird, aber was sicherlich der Kernbereich der Verlage ist, ist letztlich das Zusammenstellen von Inhalten für den Nutzer. Ich glaube, das ist durch die Studie nochmal klar geworden, es gibt da schon zwei Fälle. Es gibt den einfacheren Fall, wo letztlich ein Konsument oder ein Nutzer ein spezielles Interesse hat, z. B. sich unterhalten zu lassen. Das, was wir bei Video- oder auch Audio-Streamingplattformen sehen. Also ich bekomme heute Abend etwas vorgeschlagen, ich bin vom Tag müde, möchte einen Unterhaltungsfüller haben, dann kriege ich was. Das ist bei den großen Technologieanbietern schon mit integriert, also technologiebasierten Medienanbietern. Es ist ja nicht wesentlich anders, als wenn ich letztlich ein Konsumgut, auch wenn es einen Schrank ist, suche. Der zweite Fall ist der kompliziertere und das ist der für Medienunternehmen publizistisch interessantere, am Beispiel von Nachrichten kann man das gut sehen, die periodische Bereitstellung von Inhalten. Ich schaue auf ein Angebot und möchte letztlich periodisch informiert werden. Da ist die Frage, was man da personalisieren kann und sollte und da experimentieren Verlage auch schon. Da gibt es das Beispiel FAZ, was wir auch hier in der Studie vorgestellt haben. Die sind ganz interessant. Die bieten eigentlich eine normale Seite an, aber den personalisierten Bereich als Add-On, also als Ergänzung des Normalen. Der Nutzer bekommt das, was die Redaktion definiert, das ist auch sehr wichtig, und kann ergänzen zu Themengebieten oder interessant zu einzelnen Redakteuren sich Inhalte anschauen.
00:06:54
Benjamin Kolb: Bei dem FAZ-Case ist es ja auch so, Sie haben es gerade schon erwähnt, die Redakteure nehmen eine teilweise händische Personalisierung vor, genauso wie der Nutzer selbst. Würden Sie sagen, dass das ein Übergang ist zu einer vollständigen automatisierten Personalisierung oder ist dieser Status Quo auch das, was Sie für die Zukunft sehen?
00:07:14
Prof. Dr. Thomas Hess: Für die kurze und mittelfristige Zukunft sehe ich schon, gerade bei diesen periodischen Medien, dass der Anbieter bewusst Themen setzt. Das ist ja auch eine Aufgabe der Medienunternehmen, die Themen zu setzen. Das erwartet man ja auch von der FAZ z. B., genauso von der Süddeutschen. Ich glaube, dass sich die Redaktionen diese Hoheit letztlich nicht nehmen lassen werden. Die wollen Themen setzen aufgrund einer Ausrichtung oder einer Bewertung der Nachrichten und ich glaube, dass in dem periodischen Bereich es langfristig auch immer noch zu diesen Setzungen durch die Redaktion kommen wird.
00:07:51
Christian Kallenberg: Aber wie steht es um den Endkunden? In dem Beispiel mit der FAZ war es ja aktive Personalisierung, d. h. da hat der Konsument quasi seine Interessen ausgewählt. Was halten Sie denn von einer automatisierten Personalisierung in dem Bereich, d. h. dass eine KI quasi lernt, für welche Themen sich der Konsument begeistert und dadurch das Angebot der Redaktion entsprechend zusammenstellt? Ist das etwas, was mittelfristig einer aktiven Personalisierung überlegen wäre?
00:08:17
Prof. Dr. Thomas Hess: Ja, also technisch geht das natürlich, genauso wie Sie es beschrieben haben. Vielleicht nochmal einen Schritt zu der Personalisierung. Wir haben einen typischen Fall, dass ich eine Leserhistorie habe und mir dann überlege bzw. das System oder der Algorithmus überlegt sich, in welche Klassen von Nachrichten passt er oder sie denn und wähle dann den aus, der am besten passt. Das kann man auf Basis der Daten indirekt machen, dann fällt halt der Nutzer darein oder man kann auch den Nutzer fragen, allerdings antwortet er nicht so gerne. Ich glaube schon, dass diese Priorisierung da ist, aber ich glaube, dass zwei Dinge ein bisschen dagegen sprechen. Einmal der bekannte Effekt, den wir auch aus traditionellen und Printmedien kennen, wenn Sie die Zeitung durchgeblättert haben, stoßen Sie auf etwas, was nicht ihrem Interessensgebiet entspricht. Also wenn Sie normalerweise sich den Bereich Feuilleton nicht anschauen und durchblättern und doch etwas finden, also dieses Überraschende würde wegfallen, wenn man das vollständig automatisiert. Das Zweite ist, es gibt eine lange Diskussion dazu, es könnten Blasen entstehen. Vielleicht zu dem ersten, es gibt, aber das ist noch nicht so ausgegoren, auch algorithmische Lösungen unter dem Stichwort CERN-Dipity. Die versuchen diese Zufälligkeit von Auswahl wieder reinzubringen, heißt also Sie gucken in ihren zwei Gebieten, nehmen wir mal an, Sie interessieren sich für Wirtschaft und für Sport, dann bekommen Sie Nachrichten oder auch Hintergrundberichte, Inhalte zu einem Gebiet, aber ab und zu wird nochmal was eingestreut, was aus dem Thema Finanzen, Reisen etc. kommt. Das ist technisch noch nicht so weit. Ich glaube, dass das wichtig ist, um diese Überraschung mit reinzubringen. Damit hängt dieses zweite Thema, was ich eben angesprochen hatte, zusammen, dass letztlich immer schon die Angst da war, dass bei einer starken Personalisierung die Nutzer in einzelne Bereiche sich abschotten, also Blasen bilden und in dieser Blase sich bewegen. Ich bin jetzt kein Kommunikationswissenschaftler, aber da sagt die Forschung, dass das wohl nicht so ist und dass es früher schon ähnliche Blasen, nur anders, existiert haben, aber es besteht zumindest das Gefühl bei Personalisierung, dass die Leute in einzelne, man kann es auch anders bezeichnen, Echokammern sich reduzieren. Beide Sachen sehe ich schon. Die Diskussion darüber werden auch das Thema Personalisierung im nächsten Jahr sicherlich mitprägen.
00:10:33
Benjamin Kolb: Die sog. Filterbubble. Jetzt ist es aber natürlich so, dass die Algorithmen in der Personalisierung bei etwas komplexeren Recommender Engines natürlich genau diese Zufälligkeit wieder reinbringen können, um genau dieses Muster aufzubrechen, sowohl diesen Überraschungseffekt für den User, dass er doch mal was entdeckt, was ihn interessiert als auch diese Filterbubble nicht zu eng werden zu lassen. Das sehen wir ganz klar, dass das auch mit relativ einfachen Mitteln auch möglich ist. Jetzt gibt es aber bei unserem Produkt auch zwei verschiedene Ansätze, wie man diese Themen zusammenstellen kann. Zum einen natürlich themenbasiert, indem die KI sozusagen Themengebiete lernt und die Interessen des Users lernt und das zusammenbringt oder aber das Verhalten von anderen Usern beobachtet und dort eben über gewisse Kohortenbildung das zur Verfügung stellt, was man auch von Amazon kennt, wie etwa „die User, die diesen Schrank gekauft haben, haben auch sich diese Kommode angeschaut“. Wie bewerten Sie die beiden Ansätze im Bereich der Nachrichten? Ist das etwas, was man ungefähr vergleichen kann und wo man einen klaren Favoriten sehen kann oder kann man das eigentlich gar nicht vergleichen?
00:11:33
Prof. Dr. Thomas Hess: Um den zweiten Punkt zuerst zu nennen, was dahinter steckt, das kennen Sie auch, das ist das Collaborative Filtering, d. h. der Algorithmus hat die Logik, man schaut sich zwei Nutzer an, schaut, was die gemeinsam haben und was der ergänzende Bereich ist und denkt, „wenn die viel gemeinsam haben“, das kann man über statistische Maße feststellen, „dann empfehle ich auch den anderen Bereich“. Das glaube ich schon. Das geht, aber ich glaube nicht im periodischen Bereich, also nicht bei den Nachrichten. Das kann ich mir vorstellen, wenn es um Musik geht, das ist nicht periodisch oder auch bei Videos, zur Unterhaltung oder auch zur Information, aber wenn ich mir den Nachrichtenbereich anschaue, ist mein Eindruck, dass man stärker auf die höheren Kategorien muss. Man kann sagen, es gibt so ein Themengebiet, Sie haben es ja auch genannt oder klassische Rubriken im Newsbereich, ich glaube, dass es gut ist, dass man danach sortiert, auch gerne sich anschaut, was diese gemacht hat, aber dass man das nicht weiter runterbrechen könnte. Beispiel: Wenn jemand sich aus dem Wirtschaftsbereich für eine spezielle Branche interessiert, z. B. Luftfahrt, dann wird das System, wenn man das ein paar Mal gemacht hat, sagen „das ist jemand, der sich für Luftfahrt interessiert“, aber das war vielleicht nur ein temporäres Interesse aus einem Investitionsgrund heraus oder aus dem beruflichen Kontext. Mein Eindruck ist, dass die Medienunternehmen besser beraten sind, wenn sie im Newsbereich, im Bereich der periodischen Medien etwas allgemeiner, auf generelle Themengebiete setzen und nicht so genau runterbrechen, weil man einfach so unterschiedliche Nachrichten in dem Fall bekommt, dass es schwerfällt, das zu klassifizieren. Ich möchte noch auf zwei andere Aspekte eingehen, die wir noch nicht hatten. Einmal, was man durch Personalisierung natürlich verliert, ist das, was man früher so ein bisschen als Anschlusskommunikation bezeichnet. Bedeutet, dass man am nächsten Tag im Kontext der Arbeit von Freunden usw. über das Fernsehereignis oder das Inhalteereignis letzten Abends spricht. Das verschwindet ein bisschen. Ein zweiter Aspekt, den können wir vielleicht später noch vertiefen, öffentlich-rechtliche Anbieter, also nicht private Anbieter, haben eine etwas andere Zielfunktion. Die wollen ja gar nicht etwas maximieren, sondern die wollen ja Relevanz schaffen. Da ist es umso schwieriger Personalisierung zu betreiben.
00:13:49
Benjamin Kolb: Sie meinten gerade den Lagerfeuereffekt, der auch im Zuge der WM häufig zitiert wurde oder jetzt beim Dschungelcamp gerade bei RTL, also als gesellschaftliches Bindemittel sozusagen und Sie haben Angst, dass das jetzt wegfällt? Das habe ich richtig verstanden?
00:14:05
Prof. Dr. Thomas Hess: Genau, das ist der Lagerfeuereffekt. Das ist das richtige Bild dazu. Dass die Leute etwas bekommen, was erst ihren Interessen entspricht, dass sie halt doch in diese kleinere Segmente sich zerlegen.
00:14:18
Christian Kallenberg: Wir haben ja häufig als Interviewgäste Menschen zu Gast, die aktiv die Verlagsbranche gestalten. Sie sind ja, wenn ich das sagen darf, vor allen Dingen ein Beobachter, deswegen kann ich Sie das fragen, wer macht es denn besonders gut im Moment, was automatisierte Personalisierung, aber auch Inhaltegenerierung usw. angeht?
00:14:36
Prof. Dr. Thomas Hess: Ich könnte schon gerne jemanden nennen, aber ich sehe da noch nicht so die perfekte Lösung. Ich glaube das Thema fängt an, deswegen hatten wir es letztes Jahr auch aufgegriffen, wir hatten ja nicht zufällig den Fall der FAZ drin, nicht, weil das so sophisticated ist, was die machen, sondern weil das ganz gut widerspiegelt, wo die Redaktion im Newsbereich starke Bedeutung hat, wo es ein bisschen personalisiert ist, wo der Nutzer und auch die Redaktion stark herangeführt war. Das Vorgehen finde ich von daher interessant. Das Zweite, was man da schon sagen muss, das ist natürlich für kleinere Anbieter auch von den Kompetenzen her schon ein Problem. Man muss die Daten aufbereiten, man muss, auch wenn es einfache Verfahren sind, die Implementierung vornehmen. Man muss auch die Leute erstmal bekommen, die das kennen, auch wenn man sie bezahlen würde, muss man sie erstmal bekommen. Das ist schon etwas, was größere Anbieter erstmal ein bisschen üben. Deswegen hatte ich auch immer wieder unterschieden zwischen periodisch / nicht periodisch. Gerade bei den periodischen Gütern muss man die Spezifika der Medienbranche viel stärker mit reinnehmen. Vielleicht noch ein Punkt, der mir gerade in den Sinn kommt. Es gibt bei der Personalisierung noch andere Lebensbereiche als beim Content bei den Medien und dort gewinnt neben dem Profil des Nutzers geprägt durch seine Historie auch sehr stark der Nutzungskontext an Bedeutung. Übertragen auf die Medienbranche heißt das also, ich bekomme eine Personalisierung, z. B. im Musikbereich, die richtet sich nach meiner Historie, was ich sonst so gerne gehört habe oder welche Genres. Es schließt auch ein, ob ich das z. B. mache, wenn ich unterwegs bin oder wenn ich zu Hause bin und auch welche Uhrzeit das z. B. ist. Neuere Entwicklungen gehen dahin, den Kontext, das ist der Oberbegriff für diese ganzen Faktoren, noch stärker zu betonen. Das ist alles letztlich Zukunftsmusik. Ich kann mich erinnern, wir hatten vor vielen Jahren schon mal so ein Projekt mit einem großen Telekommunikationsunternehmen ausprobiert, wo wir auch versucht haben, das haben wir technisch ein bisschen weiterentwickelt, die Emotion des Nutzers zu erkennen, also hat jemand eine positive oder negative Stimmung und entsprechend auch die Musikwahl zu steuern. Zumindest damals wollte es der Kunde noch nicht haben.
00:16:42
Christian Kallenberg: Und aus welchem Grund wollte er es nicht haben? Was war die Erkenntnis?
00:16:44
Prof. Dr. Thomas Hess: Die Leute mögen diese Ableitung aus dem Gesicht nicht. Das System erkennt, hört sich ein bisschen nach Big Brother an, in welcher Stimmung man ist. Da haben sie gesagt, man könnte das auch über die Herzfrequenz machen. Das wollten die schon mal gar nicht. Rational betrachtet, der Nutzer wägt ab und sagt „was habe ich von der Personalisierung?“ und „was spricht dagegen?“. Der gefühlt negative Aspekt, dass mich eine Maschine interpretiert, war größer als ein bisschen Anpassung.
00:17:18
Benjamin Kolb: Wir haben noch ein anderes Themengebiet, was wir mit ihnen besprechen wollten und zwar ist es ja so, dass die Verlagsbranche bekanntermaßen unter dem Druck der sinkenden Printerlöse steht und dagegen kämpfen mit steigenden Digitalerlösen, mit welchem Geschäftsmodell auch immer. Am Anfang wurde sehr viel auf Werbung gesetzt. Werbung kam dann auch ein bisschen unter Druck. Das neue Modell sind ja Paywalls. Fast jeder Verlag, zumindest in Deutschland, probiert sich gerade an Paywalls aus, manche mehr und manche weniger erfolgreich. Wie ist denn ihr Stand der Forschung auf dem Gebiet? Gibt es da irgendwelche besonderen Erkenntnisse, die man ableiten kann für Paywalls, sagen wir auch ein bisschen dedizierter, es gibt ja Newsverlage, es gibt Magazinverlage, die unterschiedliche Bindungsstärke haben, gibt es da irgendwelche Ableitungen, die man jetzt schon sehen kann?
00:18:06
Prof. Dr. Thomas Hess: Das ist eines der Grundprobleme der Informationsinhalteanbieter. Hintergrund ist auch klar, früher im Kontext des Gedruckten, waren die Leute mehr bereit zu zahlen. Da gab es die Kostenlos-Welle und jetzt versuchen die Verlage seit eher 15 als zehn Jahren wegzukommen von dieser Kostenlos-Logik und auch das, was digital angeboten wird, doch noch mit einem Preis zu versehen. Hintergrund ist auch klar, die Vorstellung, dass man alles über Werbeerlöse realisiert, funktioniert nicht. Ich sehe zwei Dinge. Das Erste, heute ist das Positionieren von Inhalten hinter der Zahlschranke noch ein Nischenthema und die Umsätze, die dort realisiert sind, sind homöopathisch. Die wachsen, aber sie sind wirklich klein und homöopathisch. Ich würde jetzt nicht erwarten, dass das im Durchschnittsfall, jetzt nicht bei den New York Times, eines Nachrichtenanbieters nach oben geht. Es ist ein Versuch. Die zweite Bemerkung, man verliert ein bisschen an publizistischer Relevanz. Wenn ich etwas hinter die Paywall stelle, sieht das immer erstmal nur ein kleiner Teil der Nutzer. Viele Unternehmen im Newsbereich, weniger im Unterhaltungsbereich, definieren sich ja darüber, dass sie meinungsprägend sind. Als Medienunternehmer muss man sich überlegen, wenn ich es hinter die Paywall stelle, motiviere ich vielleicht meinen Nutzer, der sonst nichts zahlt letztlich zu zahlen, z. B. ein Monatsabo einzugehen, aber ich verliere ein bisschen an Relevanz. Natürlich, was ich auch verliere, wenn ich viel hinter die Paywall stelle, ich verliere Werbeerlöse. Es ist schon ein komplexeres Optimierungsproblem, welche Inhalte man dahinter stellt. Ich glaube es ist nicht die heilsbringende Lösung, die man vielleicht dort, wo man auf die Systeme schaut, die sind ja auch recht überzeugend gemacht, sondern es könnte mittel- bis langfristig relevant sein, aber es ist schon ein längerer Weg. Ich hatte eben nicht umsonst ein Beispiel eines großen amerikanischen Newsanbieters angegeben. Die gewinnen natürlich etwas, weil sie über die Sprache und die Marke weltweit sichtbar sind. Ob jetzt, nehmen wir mal das Gegenbeispiel, ein regionaler Newsanbieter am Ende des Tages, wenn er alles zusammenrechnet und die Investitionen sieht, ob der sich am Ende wirtschaftlich und publizistisch besserstellt, da bin ich zumindest vorsichtig.
00:20:31
Christian Kallenberg: Wo sehen Sie denn die Zukunft der Verlagsbranche, wenn es nicht die Paywall ist und auch die Werbeerlöse, wie wir gerade gesagt haben, zurückgehen? Womit verdient die Branche künftig Geld oder gibt es die Branche langfristig gar nicht mehr? Machen das alles die Öffentlich-Rechtlichen?
00:20:47
Prof. Dr. Thomas Hess: Letzteres glaube ich weniger. Es wird sicherlich eine Konzentration geben, das sieht man ja schon. Es werden größere Verlagsgruppen entstehen, auch insbesondere vor dem Hintergrund der technologischen Investitionen und der Plattformen, die man bauen muss. Das wäre mein erster Kommentar dazu.
00:21:03
Christian Kallenberg: Das freut Benjamin Kolb sehr (lacht).
00:21:08
Prof. Dr. Thomas Hess: Das Zweite ist natürlich, dass Verlage immer schon probiert haben, im betriebswirtschaftlichen Sinne zu diversifizieren, also wegzukommen von dem klassischen „ich stelle Content bereit“-Geschäft. Das kann jetzt traditionell sein, ich organisiere Reisen für meine Leser. Das kann auch ein bisschen weitergehen. Die Burda-Gruppe z. B. ist ja oft kritisiert worden dafür, dass sie auch jetzt weiter diversifiziert hat und sagt „mit dem Medium kann man alles transportieren“ und da kann man auch Informationen und Produkte diversifizieren und stark im E-Commerce-Angebot sein. Ich glaube, dass letztlich auf diesem Pfad Verlage etwas aufbauen müssen neben ihrem klassischen Content-Geschäft. Da gibt es auch jenseits der Tageszeitung wirklich interessante Beispiele, wer das sehr gut gemacht hat. Jetzt im weiteren Mediensinne ist die Ravensburger Gruppe, die kennt man auch von Kinderspielen usw., die haben letztlich auch noch ein Hardwaregeschäft dazu gebaut, also für kleine Kinder, wenn sie einen Stift kaufen und sie darauf klicken, dann muht die Kuh. Das ist etwas, was natürlich eine wunderbare Diversifikation ist. Ich glaube neben der Konzentration ist das Erschließen weiterer Geschäftsfelder eine strategische Option, die man einfach im Blick haben muss, auch wenn man es vielleicht gar nicht so mag.
00:22:23
Christian Kallenberg: D. h. also die Herausforderungen der Branche bleiben groß. Wie ist das eigentlich bei Ihnen, haben Sie diese Entwicklung schon 1997 vorausgehen oder warum haben Sie nach Ihrer Zeit als Vorstandsassistent bei Bertelsmann der Branche wieder den Rücken gekehrt?
00:22:37
Prof. Dr. Thomas Hess: Ich würde es andersherum sagen, ich war zwei Jahre bei Bertelsmann, das war genau zu der Zeit als das Digitalgeschäft aufgebaut wurde. Gleichzeitig hatte ich noch im Hinterkopf, dass ich vielleicht in den wissenschaftlichen Bereich gehen sollte und ich habe das mitgenommen. Ich habe bis jetzt an den Lehrstuhl in München das Thema mitgenommen und habe versucht, das aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Deswegen war die Medienbranche immer interessant, weil sie kreativ und gesellschaftlich wichtig ist, aber auch weil die Medienbranche letztlich an der Speerspitze Digitalisierung steht. Das größte erste Beispiel war ja Napster, die Tauschbörse für Musik, das hat mich immer schon fasziniert. Ich glaube, wenn man die Medienbranche sich anschaut, was die neben anderen Branchen machen, da sieht man schon viele Themen, die in vielen anderen Industrien erst später kommen.
00:23:24
Benjamin Kolb: Jetzt hat der Christian vorhin gesagt, dass Sie ja nur Beobachter wären in der Medienbranche, das stimmt ja gar nicht ganz, denn Sie sind ja auch Mitherausgeber des vierteljährlich erscheinenden Magazins „Medienwirtschaft“. Wie sieht denn Ihre Aufgabe da genau aus?
00:23:36
Prof. Dr. Thomas Hess: „Medienwirtschaft“ ist ein Periodikum, was Print und online zur Verfügung gestellt wird, wo wir letztlich den Praktiker erreichen wollen, der wissenschaftlich solide, aber doch relevante Ergebnisse lesen möchte. Wir fassen dort Studien zusammen, die in der klassischen Wissenschaft gemacht wurden, z. B. auch zum Thema Personalisierung und bereiten das alle Vierteljahre auf und machen eine Art Qualitätskontrolle, so eine Art Gatekeeper-Funktion und so ist sie damals noch als reines Printmedium vor 10-15 Jahren entstanden. Wir sind ein Kreis von fünf Herausgebern und durch meinen disziplinären Hintergrund habe ich dort den Fokus einmal auf Unternehmen und einmal auf die Technikentwicklung. Daneben haben wir Kolleginnen und Kollegen dabei, die z. B. aus dem Journalismus kommen, aus dem juristischen Bereich oder aus dem kommunikationswissenschaftlichen Bereich und so wollen wir aus unterschiedlichen Perspektiven die Entwicklung von Medienunternehmern, insbesondere auch die Digitalisierung weiter begleiten und praktischen Input geben. Die Zeitschrift ist auch online über das Beck-Angebot erreichbar. Wir veranstalten auch z. B. den Münchener Medientag, wo wir Diskussionen zu aktuellen Themen, zusammen mit dem Bayrischen Rundfunk initiieren. Wir versuchen auch ein bisschen die Diversifikation, obwohl wir natürlich keine Gewinnerzielungsabsicht haben, letztlich dort mit einzubringen.
00:25:06
Benjamin Kolb: Aber auch ohne Gewinnerzielungsabsicht, wie sieht denn ihre Digitalstrategie bei dem Magazin aus?
00:25:11
Prof. Dr. Thomas Hess: Die Strategie heißt letztlich, dass wir froh sind, wir sind ja ein kleines Medium, dass wir über unseren Verlag in Hamburg letztlich die Möglichkeit haben unsere Inhalte über einen Dritten, über die Beck-Gruppe, zur Verfügung zu stellen. Wir haben eine klassische Hybridstrategie. Es gibt weiterhin das Periodikum, was weiterhin gelesen wird, aber wir bieten auch die Inhalte online an und das Spezifikum im akademischen Bereich, das richtet sich auch im Praktikum auch an Studierende, dass solche Inhalte in größere Pakete eingespielt werden. Also die Hochschule X, Universität Y abonniert ja nicht einzelne Zeitschriften oder Inhalte von Zeitschriften, sondern Pakete von Verlagen. Da sind wir bei einem Paket dabei und deswegen sind wir froh, dass wir in der zweiten Zielgruppe, bei den Studierenden darüber erreichbar sind. Das sind unsere beiden wesentlichen Pflöcke, also beide Kanäle zu adressieren, den Zweiten über Pakete. Weitere Dinge, die man sich auch bei Zeitschriften vorstellen könnte, machen wir nicht. Es gibt z. B. bei einer amerikanischen Zeitschrift, eine Praktikerzeitschrift, die drehen dann aus dem Artikel heraus einen Film. Das würden wir vielleicht auch gerne machen mit Statements, aber da fehlen uns einfach die Ressourcen.
00:26:26
Benjamin Kolb: Was lesen Sie eigentlich privat? Was nutzen Sie für Medienangebote?
00:26:29
Prof. Dr. Thomas Hess: Für den Informationsbereich in München nutze ich ausgeprägt BR24. Das ist ein öffentlich-rechtliches Angebot, was man sowohl im Radio hat, aber auch über die App und im Fernsehen. Fernsehen nutze ich weniger, aber wenn ich Auto fahre oder sonst Zeit habe, nutze ich das zur aktuellen Information. Dann ein, zwei digitale Angebote der FAZ und der süddeutschen Zeitung. Was ich noch in der Hand halte, im Informationsbereich, das ist ein Wirtschaftsperiodika, die jede Woche kommt, die Wirtschaftswoche. Im Unterhaltungsbereich, bin ich wahrscheinlich relativ typisch, da nutze ich dann die beiden großen Streaminganbieter und noch ein paar ergänzende Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen.
00:27:12
Christian Kallenberg: Sie unterstützen die Branche weiterhin auch privat, das finde ich toll. Vielen Dank für Ihre Zeit heute und bin gespannt, wie unsere Hörerinnen und Hörer darauf reagieren.
00:27:19
Prof. Dr. Thomas Hess: Vielen Dank für die Zeit.
00:27:21
Benjamin Kolb: Ganz herzlichen Dank.
00:27:23
Prof. Dr. Thomas Hess: Danke für das Gespräch.
00:27:24
Christian Kallenberg: Und wenn Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, diese Episode gefallen hat, dann freue ich mich, wenn Sie uns auf der Podcast-Plattform Ihrer Wahl abonnieren.